Ein Arzt gibt Daten in einen Computer ein

Aufgepasst bei Kopien der Patientenakte

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) haben Patienten ein Recht auf eine kostenlose erste Kopie ihrer Patientenakte. Alle weiteren Kopien dürfen dann kostenpflichtig sein.

Worum geht es bei der Entscheidung?

Diesem Rechtsstreit liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger ließ sich von seiner Zahnärztin (der Beklagten) behandeln. Er ist der Meinung, dass hier möglicherweise ein Behandlungsfehler vorliegt, der ihn zum Schadensersatz berechtigt. Zum weiteren Vorgehen gegen die Zahnärztin benötigt er eine Kopie die Patientenakte. Die Beklagte ist durchaus bereit, ihm eine solche kostenpflichtig – wie es im deutschen Recht vorgesehen ist – zu erstellen. Der Kläger ist mit dieser Kostenpflicht des Erstellens der ersten Kopie der Patientenakte jedoch nicht einverstanden und wehrt sich klageweise dagegen.

Das Amtsgericht Köthen und das Landgericht Dessau-Roßlau haben der Klage bisher stattgegeben. Gegen die letzte Entscheidung hat die Beklagte Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt. Der BGH hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob sich denn aus der EG-DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) ein entsprechendes Recht der Patientin beziehungsweise des Patienten auf das kostenlose Erstellen einer ersten Kopie ergibt. In dieser Instanz vor dem EuGH befinden wir uns nun.

Welche Positionen vertreten die Parteien?

Die Beklagte ist der Ansicht, dass ein entsprechendes Recht nicht bestehe. Die Kostenpflicht des Erstellens einer ersten Kopie ergebe sich auch aus den bislang in Deutschland geltenden gesetzlichen Regelungen (vgl. § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB). Im Übrigen seien folgende Sachverhalte zu berücksichtigen: Zunächst bestünden hohe Anschaffungskosten für das Kopiergerät selbst. Diese Kosten müssten auf alle das Gerät nutzenden Patientinnen und Patienten umgelegt werden, damit der Arzt kein erhebliches Minusgeschäft mache. Außerdem müssten Kopien von einer Fachkraft (meist Arzthelferin oder Arzthelfer) angefertigt werden. Während dieser „Kopierzeit“ könne die Arzthelferin oder der Arzthelfer nicht ihrer oder seiner erlernten beruflichen Tätigkeit nachgehen. Nur für letztere wird sie beziehungsweise er aber bezahlt. Dieser „Zeitausfall“ müsse auch vergütet werden, damit die Ärztin oder der Arzt dann nicht doch letztlich über die Personalkosten auf den Kopierkosten sitzen bleibt. Sie beantragt Klageabweisung.

Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm unzweifelhaft ein Recht auf das Erstellen einer kostenlosen ersten Kopie der Patientenakte zustehe. Dieses Recht ergebe sich aus Art. 15, 12, 23 EG-DSGVO. Schließlich gehe es hierbei um das Bereitstellen eigener höchstpersönlicher Daten, das zunächst einmal kostenfrei ermöglicht werden müsse.

Der letzten Ansicht hat sich auch der EuGH angeschlossen. Aus Art. 15, 12, 23 EG-DSGVO ergebe sich das Recht der Patientin beziehungsweise des Patienten gegen die ihn behandelnden Ärztin beziehungsweise den ihn behandelnden Arzt auf das Erstellen einer ersten kostenlosen Kopie ihrer beziehungsweise seiner Patientenakte.

Ist die Sache höchstrichterlich entschieden?

Hier hat der EuGH, das höchste europäische Gericht über ein Recht der Patientin beziehungsweise des Patienten auf die Unentgeltlichkeit des Anfertigens der ersten Kopie ihrer beziehungsweise seiner Patientenakte aus der EG-DSGVO entschieden. Alle nationalen Gerichte innerhalb der Europäischen Union (EU) werden sich an diese Sichtweise halten müssen. Es wird keine weitere Entscheidung in dieser Angelegenheit mehr geben.

Wie wirkt sich das Urteil am Ende auf die Verbraucher aus?

Die Auswirkungen dieses Urteil auf den Geldbeutel der Verbraucherin beziehungsweise des Verbrauchers sind elementar. Die Kosten für das Anfertigen einer ersten Kopie seiner Patientenakte braucht man nach diesem Urteil nicht mehr zu tragen. Einerseits muss man dem Kläger hier eine gewisse Risikofreudigkeit unterstellen. Denn die Kosten bei einem gerichtlichen Unterliegen wären gleichwohl wesentlich höher gewesen als die in Rechnung gestellten Kosten für das Anfertigen einer Kopie der Patientenakte. Letztere dürften im mittleren zweistelligen Eurobereich gelegen haben. Erstere dürften sich sicher mindestens im mittleren vierstelligen Bereich bewegen. Dieses Risiko könnte bei Vorhandensein einer Rechtsschutzversicherung auf diese abgewälzt worden sein.

Andererseits lebt die Rechtsfortbildung auch von dieser Risikobereitschaft Einzelner. Nur so konnte Rechtssicherheit und Rechtsklarheit hinsichtlich der Frage der Kostentragung der Kosten für eine erste Kopie der Patientenakte geschaffen werden. Und „Tausende“ Verbraucherinnen und Verbraucher werden zukünftig davon profitieren.

Ist die Entscheidung gut?

Ja, Daumen uneingeschränkt nach oben. Dieses Urteil klärt die Kostenfrage für das Erstellen einer ersten Kopie der Patientenakte abschließend. Die Verbraucherin beziehungsweise der Verbraucher erhält somit die „Hoheit“ über die eigenen Patientendaten und das kostenfrei.

Was kann der Verbraucher jetzt tun?

Die Verbraucherin oder der Verbraucher sollte auf ihrem beziehungsweise seinem Recht unter Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung beziehungsweise dieses Urteil bestehen und kein Entgelt für das Erstellen einer ersten Kopie der Patientenakte entrichten. Sollte die Ärztin beziehungsweise der Arzt wider Erwarten auf einer Bezahlung der ersten Kopie der Patientenakte bestehen, sollte keine Bezahlung erfolgen und unmittelbar Kontakt mit der Verbraucherzentrale vor Ort aufgenommen werden, um das weitere Vorgehen zu besprechen (zum Beispiel: Abmahnung, strafbewehrte Unterlassungserklärung, Unterlassungsklage).

Wo ist das Urteil zu finden?

Das EuGH-Urteil vom 26.10.2023 hat das Aktenzeichen C-307/22.

Stand: November 2023

Autor

„Ihr gutes Recht“ ist die beliebte Kolumne von Rechtsassessor Nikolai Schmich, LL.M. Für die Leserinnen und Leser des Verbraucherfensters sucht und findet er jede Woche relevante Verbraucherurteile und beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das Verfahren.

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