Blick auf einen Vertragsauschnitt zum Widerrufsrecht. Das Wort Widerufsrecht ist gelb markiert. Oben rechts im Bild sieht man eine Kugelscheiberspitze.

Aufgepasst beim Widerrufsrecht

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) besteht kein gesondertes Widerrufsrecht bei zunächst unentgeltlichen Verträgen nach automatischer Vertragsverlängerung in die Entgeltlichkeit.

Worum geht es bei der Entscheidung?

Hier klagt ein Verbraucherschutzverband gegen den Betreiber der Internet-Lernplattform Sofatutor auf die Einräumung eines erneuten Widerrufsrechts nach Ablauf der kostenlosen Probe-Abo-Phase.

Auf vorgenannter Lernplattform konnten Schülerinnen und Schüler ein 30-tägiges Probe-Abo abschließen. Innerhalb der ersten 30 Tage konnte das Probe-Abo fristlos gekündigt werden, ab dann wurde der Vertrag automatisch verlängert und war dann kostenpflichtig.

Das österreichische Gericht, bei dem dieser Rechtsstreit anhängig ist, bat nun den EuGH um Auskunft über die Auslegung der europäischen Verbraucherrechte-Richtlinie, insbesondere darüber, ob sich hieraus ein weiteres Widerrufsrecht ableiten lässt.

Welche Positionen vertreten die Parteien?

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Situation eines Vertrages mit kostenloser Probezeit gänzlich anders zu handhaben wäre als ohne diese. Bei einer kostenlosen Probezeit spüre die Verbraucherin beziehungsweise der Verbraucher die finanziellen Auswirkungen nicht direkt, sondern erst nach Ablauf der kostenlosen Anfangsphase. Es sei nur angemessen den Verbraucherinnen und Verbrauchern dann ein zweites Widerrufsrecht zuzugestehen, wenn sie die finanziellen Auswirkungen des einmal eingegangenen Vertrages in ihrem Geldbeutel spürten. Dies sei aber erst nach Ablauf des kostenfreien Probe-Monats der Fall. Somit sei Verbraucherinnen und Verbrauchern in dieser Konstellation ein zweites Widerrufsrecht zuzugestehen. Dies sei insbesondere deshalb angemessen, weil es sich bei dem Adressatenkreis der Vertragspartner hier um oftmals minderjährige Schülerinnen und Schüler handele, die besonders schutzbedürftig seien.

Der beklagte Betreiber der Lernplattform kann diese Einlassung nicht ganz nachvollziehen. Zunächst ist er der Ansicht, dass es gerade Sinn und Zweck eines außergewöhnlichen Widerrufsrechts sei, Verbraucherinnen und Verbraucher vor einer Überrumpelung zu schützen. Eine schützenswerte Überrumpelung habe jedoch bei dem Übergang von kostenfreier in die kostenpflichtige Vertragsphase gar nicht stattgefunden, sondern wenn überhaupt dann könne bei Vertragsschluss überrumpelt werden. Einer Schutzbedürftigkeit vor Überrumpelung bedürfe es nach Ablauf des kostenfreien Monats nicht mehr. Im Übrigen sei die Kostenfreiheit des ersten Monats ein einseitiges Entgegenkommen seinerseits. Man würde ihn ja quasi für dieses Entgegenkommen bestrafen, wenn man es Schülerinnen oder Schülern noch einmal weitere zwei Wochen nach Ablauf des kostenlosen Probemonats gestatten würde, sich von einer vertraglichen Bindung zu lösen. Dies widerspreche auch dem Sinn und Zweck eines Widerrufs. Der Beklagte beantragt demzufolge, die Klage abzuweisen.

Der letzten Ansicht hat sich auch der EuGH angeschlossen und die Klage hier abgewiesen. Das Europarecht lasse kein erstes und zweites Widerrufsrecht zu.

Ist die Sache höchstrichterlich entschieden?

Hier hat der EuGH, das höchste europäische Gericht über die Vereinbarkeit eines zweiten Widerrufsrechts mit europäischem Recht entschieden. Alle nationalen Gerichte innerhalb der Europäischen Union (EU) werden sich an diese Sichtweise halten müssen. Es wird keine weitere Entscheidung in dieser Angelegenheit mehr geben.

Wie wirkt sich das Urteil am Ende auf die Verbraucher aus?

Die Verbraucherin beziehungsweise der Verbraucher sollte sich darüber im Klaren sein, dass erhöhte Aufmerksamkeit bereits beim Vertragsschluss geboten ist. Seine vertragliche Willenserklärung kann man gegebenenfalls nach Vertragsschluss zwei Wochen lang widerrufen. Es bleibt also dabei, dass grundsätzlich nur der Zeitpunkt des Vertragsschlusses und nicht derjenige der Vertragsdurchführung zur Widerrufsberechtigung herangezogen werden kann. Eine Unentgeltlichkeit des ersten Monats verschiebt eine Widerrufsmöglichkeit nicht auf den Beginn der entgeltlichen Phase eines Vertrages. Auch die potentielle Schutzbedürftigkeit von Schülerinnen und Schülern führt hier zu keinem anderen Ergebnis.

Ist die Entscheidung gut?

Ja und nein, Daumen waagerecht. Einerseits ist sie nur konsequent, denn nach über einem Monat lässt sich beim besten Willen nicht mehr von einer Überrumpelungsgefahr sprechen. Außerdem ist es ein einseitiges Entgegenkommen des Beklagten, dass er eine kostenlose einmonatige Probe-Abo-Phase einrichtet und es gestattet, innerhalb dieses gesamten ersten Monats fristlos zu kündigen. Hierfür würde man ihn ja quasi bestrafen, wenn man den Verbraucherinnen und Verbrauchern nun ermöglichen würde, sich noch weitere zwei Wochen lang, also insgesamt sechs (statt zwei) Wochen lang, kostenlos vom Vertrag zu lösen.

Andererseits werden hier oftmals minderjährige Schülerinnen und Schüler Vertragspartner des Beklagten. Dieser besonders schützenswerte Personenkreis spürt die Auswirkungen des eigenen Tuns oftmals erst dann, wenn es negative Auswirkungen auf den Geldbeutel hat. Dieser besonderen Schutzbedürftigkeit hätte man mit einem zweiten Widerrufsrecht begegnen können.

Was kann der Verbraucher jetzt tun?

Die Verbraucherin beziehungsweise der Verbraucher sollte sich darauf einstellen, dass auch bei zunächst unentgeltlich ausgestalteten Verträgen nur ein Widerrufsrecht existiert. Man hat ab Vertragsschluss nur zwei Wochen Zeit zu widerrufen. Bei Beginn der Zahlungsphase – und das sollte einem klar sein – besteht dann kein Schutz mehr durch ein zweites Widerrufsrecht. Dies gilt auch für den besonders schützenswerten Personenkreis der Schülerinnen und Schüler, bei dem es sich oftmals um Minderjährige handelt.

Wo ist das Urteil zu finden?

Das EuGH-Urteil vom 05.10.2023 hat das Aktenzeichen C-565/23.

Stand: Oktober 2023

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„Ihr gutes Recht“ ist die beliebte Kolumne von Rechtsassessor Nikolai Schmich, LL.M. Für die Leserinnen und Leser des Verbraucherfensters sucht und findet er jede Woche relevante Verbraucherurteile und beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das Verfahren.

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