Blick vom Flughafengate durch die Glasscheibe aufs Rollfeld. Dort steht ein Flugzeug, ein weiteres startet gerade.

Flugreisende bei verspätetem Anschlussflug außerhalb der EU aufgepasst!

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) erhalten Flugreisende, deren Reise mit Umsteigen pünktlich in der Europäischen Union (EU) startet, selbst dann eine Ausgleichszahlung nach der EU-Fluggastrechteverordnung, wenn die Verspätung erst auf einem späteren Teilflug außerhalb der EU auftritt.

Worum geht es bei der Entscheidung?

Hier klagt eine Flugreisende gegen ihre Fluggesellschaft auf 600 Euro Entschädigung nach der EU-Fluggastrechteverordnung.

Die Klägerin hatte in einem Stuttgarter Reisebüro einen Flug nach Kansas City (USA) gebucht, der sie zunächst mit der Fluggesellschaft Swiss von Stuttgart nach Zürich, dann mit der Beklagten von Zürich nach Philadelphia (USA) und schließlich mit der Beklagten von Philadelphia (USA) nach Kansas City (USA) führte. Hierfür wurde der Klägerin ein einheitlicher Flugschein ausgestellt Die beiden ersten Flüge, die einen innereuropäischen Abflugort hatten, liefen planmäßig und ohne jegliche Verspätung ab. In Philadelphia (USA) kam es jedoch zu einer erheblichen Verzögerung, sodass der Zielflughafen Kansas City (USA) mit einer mehr als vierstündigen Verspätung erreicht wurde.

Für diese Verspätung möchte die Klägerin nun eine Entschädigungszahlung in Höhe von 600 Euro nach der EU-Fluggastrechteverordnung von der beklagten Fluggesellschaft, welche die Flüge von Zürich nach Philadelphia und von Philadelphia nach Kansas City durchgeführt hat, bekommen. Die beiden Vorinstanzen des Amtsgerichts Nürtingen und des Landgerichts Stuttgart lehnten einen klägerischen Anspruch jeweils ab. Gegen die letzte Entscheidung legte die Klägerin Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe ein. In dieser Instanz befinden wir uns nun.

Welche Positionen vertreten die beteiligten Parteien?

Fraglich ist hier in erster Linien, ob es sich bei dem verspäteten Teilflug von Philadelphia nach Kansas City um einen direkten Anschlussflug im Sinne der EU-Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) handelt? Nur dann könnte die befördernde Fluggesellschaft auch für die außerhalb des europäischen Luftraums aufgetretene Verspätung haftbar gemacht werden:

Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Begriff „direkter Anschlussflug“ im Sinne des Artikel 2 Buchstabe f und h, Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c sowie Artikel 7 der EU-Fluggastrechteverordnung eng auszulegen sei. Es werden seit jeher keine Beförderungsvorgänge davon erfasst, die aus mehreren Teilflügen bestehen und von verschiedenen Fluggesellschaften erfasst würden. Eine Entschädigungszahlung wäre hiernach ausgeschlossen.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Begriff „direkte Anschlussflüge“ im Sinne der EU-Fluggastrechteverordnung weit auszulegen sei. Entscheidendes Kriterium sei hierbei, dass die jeweiligen Flüge von nur einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurden und dieses Unternehmen einen einheitlichen Flugschein ausgestellt hat. Dies sei hier der Fall, weshalb die geforderte Entschädigungszahlung zu leisten sei.

Letzter Ansicht hat sich auch der BGH angeschlossen und nach Rücksprache mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), der ebenfalls eine weite Auslegung des Begriffs „direkte Anschlussflüge“ befürwortet, eine Pflicht zur Entschädigungszahlung in oben genannter Konstellation bejaht und der Klägerin – anders als noch die beiden Vorinstanzen – eine Entschädigung von 600 Euro zugesprochen.

Wörtlich führt der BGH aus:

„Der Begriff "direkte Anschlussflüge" im Sinne von Artikel 2 Buchstabe h Fluggastrechteverordnung kann auch einen Beförderungsvorgang erfassen, der aus mehreren Flügen besteht, die von unterschiedlichen, nicht durch eine besondere rechtliche Beziehung miteinander verbundenen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden. Ausreichend dafür ist, dass die Flüge von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurden, das einen einheitlichen Flugschein im Sinne von Artikel 2 Buchstabe f Fluggastrechteverordnung ausgegeben hat.“

Ist die Sache höchstrichterlich entschieden?

Ja, hier hat der BGH, das höchste deutsche Gericht in Zivilsachen letztinstanzlich in einem Revisionsverfahren entschieden. Es wird keine weitere Entscheidung in dieser Angelegenheit mehr geben.

Wie wirkt sich das Urteil am Ende auf die Verbraucher aus?

Dieses Urteil kann einen signifikanten Einfluss auf die Pünktlichkeit von Flugverbindungen auch im außereuropäischen Ausland haben. Fluggesellschaften werden sich nicht entschädigungspflichtig machen wollen, wenn eine zusammengesetzte Flugverbindung bei einem Reiseunternehmen gebucht und ein einheitlicher Flugschein ausgestellt wurde.

Somit kann dieses Urteil den Druck auf die Pünktlichkeit von Flugverbindungen auch im außereuropäischen Ausland erhöhen und ist somit ein deutliches Plus für Verbraucherinnen und Verbraucher.

Ist die Entscheidung gut?

Ja, Daumen uneingeschränkt nach oben. Hier wird die Rechtsstellung der Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber ihren Flugunternehmen enorm gestärkt.

Flugunternehmen können sich bei Unpünktlichkeiten in der oben genannten Konstellation nicht mehr mit der schnell gemachten Aussage herausreden, sie hätten keine Kontrolle über den außereuropäischen Luftraum und könnten somit auch nicht für erstmalig dort auftretende Verspätungen haftbar gemacht werden.

Was kann der Verbraucher jetzt tun?

Die Verbraucherin beziehungsweise der Verbraucher sollte darauf achten, dass Auslandsreisen bei dem gleichen Reiseunternehmen gebucht werden und hierfür ein einheitlicher Flugschein ausgestellt wird. Nur dann genießt sie beziehungsweise er den Schutz der EU-Fluggastrechteverordnung für erstmalig im Ausland auftretende Verspätungen oder Flugausfälle.

Im Entschädigungsfall sollte man sich von Fluggesellschaften nicht mit oben genannter „Ausrede“ abspeisen lassen. Ganz im Gegenteil: Man sollte sich auf dieses Urteil berufen und die Entschädigungszahlung nach der EU-Fluggastrechteverordnung weiterhin verlangen.

Wo ist das Urteil zu finden?

Das Urteil des BGH vom 09.05.23 hat das Aktenzeichen X ZR 15/20.

Stand: Juni 2023

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„Ihr gutes Recht“ ist die beliebte Kolumne von Rechtsassessor Nikolai Schmich, LL.M. Für die Leserinnen und Leser des Verbraucherfensters sucht und findet er jede Woche relevante Verbraucherurteile und beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das Verfahren.

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