Bei stehendem Flugzeug ist die Außentreppe ausgeklappt

Aufgepasst bei psychischen Beeinträchtigungen durch „Flugzeug-Unfall“

Nach einem EuGH-Urteil muss eine Fluggesellschaft auch dann Schadensersatz für einen Unfall leisten, wenn der Reisende eine psychische Beeinträchtigung erleidet. Die Beweislast der Ursächlichkeit und der ärztlichen Behandlungsbedürftigkeit liegt jedoch bei dem oder der Reisenden.

Worum geht es bei der Entscheidung?

Hintergrund dieser Entscheidung ist ein Fall, der sich im Unionsland Österreich abspielte. Dort ereignete sich beim Start eines Flugzeugs der Fluggesellschaft Laudamotion ein Unfall, als ein Triebwerk explodierte. Eine Passagierin verließ das Flugzeug über den Notausstieg am rechten Flügel. Das Triebwerk war jedoch in Bewegung und somit wurde sie durch die aus der Maschine strömende Luft mehrere Meter durch die Luft geschleudert.

Bei diesem Vorfall blieb die Frau und jetzige Klägerin zumindest physisch unverletzt. Jedoch hat sie hierbei eine psychische Beeinträchtigung infolge einer posttraumatischen Belastungsstörung erlitten. Hierfür verlangt sie von der beklagten Fluggesellschaft Schadensersatz, die ihr diesen nicht gewähren will. Das streitentscheidende österreichische Gericht hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob das entsprechende internationale Abkommen (Artikel 17 Montrealer Abkommen) Schadensersatz nur für physische Beeinträchtigungen gewährt (wofür der Wortlaut des Abkommens spricht) oder hiervon auch psychische Beeinträchtigungen erfasst werden (wofür die Vorschrift auszulegen wäre).

Welche Positionen vertreten die beteiligten Parteien?

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beschränkung des Art. 17 des Montrealer Abkommens (MA) auf physische Beeinträchtigungen nicht mehr zeitgemäß ist.  Es entspricht dem heutigen Stand der Medizin, dass man weiß, dass sich psychische Beeinträchtigungen gleichermaßen negativ auf die Physis auswirken können. Demnach wäre es auch nur folgerichtig, ihr einen Schadensersatzanspruch für die erlittene posttraumatische Belastungsstörung zuzubilligen.

Der Beklagte hält sich strikt an den Wortlaut der Vorschrift des Artikel 17 MA und vertritt die Ansicht, dass man bewusst psychische Beeinträchtigungen ausgeklammert habe. Dies sei geschehen, um eventuellem Missbrauch vorzubeugen und das Abwälzen der Kosten zur Behandlung psychischer Vorerkrankungen auf die Fluggesellschaften abzuwälzen.

Der EuGH hat sich hier der klägerischen Sichtweise angeschlossen. Er führt aus:

„Ein Fluggast, der infolge eines Unfalls eine psychische Beeinträchtigung erlitten hat, kann sich nämlich je nach Schwere des daraus resultierenden Schadens in einer Lage befinden, die mit der eines Fluggastes vergleichbar ist, der eine Körperverletzung erlitten hat. Demnach ist davon auszugehen, dass Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal es zulässt, Schadenersatz für eine durch einen „Unfall“ im Sinne dieser Bestimmung verursachte psychische Beeinträchtigung zu leisten, die keinen Zusammenhang mit einer „Körperverletzung“ im Sinne dieser Bestimmung aufweist. “

Ist die Sache höchstrichterlich entschieden?

Hier hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg abschließend entschieden. Alle nationalen Gerichte innerhalb der Europäischen Union müssen dieses Urteil bei ihrer Rechtsprechung beachten und im Lichte des EuGH entscheiden. Dieser Fall wurde zur abschließenden Entscheidung an das österreichische Ausgangsgericht zurückverwiesen.

Wie wirkt sich das Urteil am Ende auf die Verbraucher aus?

Verbraucherinnen und Verbraucher sollten sich dessen bewusst sein, dass sich Fluggesellschaften bei der Anspruchsstellung für einen Schadensersatzanspruch wegen einer psychischen Beeinträchtigung nach einem Unfall nicht mit dem Argument herausreden können, das entsprechende internationale Abkommen sehe nur Ansprüche wegen physischer Schäden vor. Nach diesem EuGH-Urteil sind die psychischen den physischen Beeinträchtigungen insofern gleichgestellt. Allerdings liegt die Beweislast für die Kausalität des Unfalls zur psychischen Beeinträchtigung und der psychischen Beeinträchtigung zu den physischen Auswirkungen komplett auf Seiten des Geschädigten. Dies dürfte eine schwere, kaum zu überwindende Hürde darstellen.

Ist die Entscheidung gut?

Ja. Daumen uneingeschränkt nach oben. Hier werden endlich psychische und physische Beeinträchtigungen gleichbehandelt. Natürlich muss der Geschädigte die Ursächlichkeit des Unfalls für die psychische Beeinträchtigung nachweisen. Psychische Beeinträchtigung können sich langfristig zudem auch körperlich nachteilig auswirken, daher ist es so wichtig, dass auch psychische Beeinträchtigungen ohne unmittelbare körperliche Verletzung berücksichtigt werden. Die Beweislast liegt also komplett beim Geschädigten, was aber auch nur konsequent ist, um einem für die Fluggesellschaften nachteiligen Missbrauch vorzubeugen.

Was kann der Verbraucher jetzt tun?

Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben nun Gewissheit darüber, dass sich die Haftung der Fluggesellschaften bei Unfällen nicht nur auf den Ersatz physischer Schäden beschränkt, sondern auch für psychische Beeinträchtigungen Ersatz zu leisten ist. Die Beweislast bei Letzteren liegt jedoch komplett bei den beeinträchtigten Passagieren, sodass frühzeitig mit Ärzten und Psychologen darüber beratschlagt werden sollte, ob die Kausalität des Unfalls für die psychischen Beeinträchtigungen und der psychischen Beeinträchtigungen für physische Fehlfunktionen besteht. Erst dann sollte man eine Schadensersatzforderung an die verantwortliche Fluggesellschaft stellen.

Wo ist das Urteil zu finden?

Das Urteil des EuGH vom 21.10.22 hat das Aktenzeichen Az C 111/21.

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„Ihr gutes Recht“ ist die beliebte Kolumne von Rechtsassessor Nikolai Schmich, LL.M. Für die Leserinnen und Leser des Verbraucherfensters sucht und findet er jede Woche relevante Verbraucherurteile und beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das Verfahren.

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