Worum geht es bei den Entscheidungen?
Zwei Fluggäste wollten unabhängig voneinander mit der Fluggesellschaft „Laudamotion“ von Düsseldorf nach Palma de Mallorca fliegen, um dort Geschäftstermine wahrzunehmen. Die Fluggesellschaft kündigte eine Verspätung von mehr als drei Stunden an. Beide Männer gelangten zu der Erkenntnis, dass es besser sei, wenn sie den Flug nicht antreten würden. Fluggast A fuhr deshalb gar nicht erst an den Abflughafen Düsseldorf; Fluggast B buchte sich selbst einen Ersatzflug und kam somit mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden auf Mallorca an.
Die beiden Männer begehrten nunmehr die pauschale Entschädigung von 250 Euro. Hierauf haben Fluggäste bei Flügen unter 1.500 km Entfernung bei einer Verspätung von drei Stunden oder mehr grundsätzlich einen Anspruch (vergleiche: Art. 6 EG-Fluggastrechte-Verordnung). Zunächst hat das Amtsgericht (AG) Düsseldorf einen Anspruch der Kläger auf diese Entschädigungszahlung verneint. Auf die Berufung der Kläger hat ihnen das Landgericht (LG) Düsseldorf die Entschädigungszahlung zugesprochen. Aufgrund der wiederum gegen diese Entscheidung eingelegten Revision landete der Rechtsstreit vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Der BGH fragte sich nun, ob auf die Entschädigung überhaupt ein Anspruch besteht, wenn man sich gar nicht erst zur Abfertigung begeben hat oder aber, wenn man in Eigeninitiative einen Ersatzflug gebucht hat, der einen mit weniger als drei Stunden Verspätung zum Zielort gebracht hat. Diese hat er dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. In diesem Verfahren vor dem EuGH befinden wir uns jetzt.
Welche Positionen vertreten die Parteien?
Hier hat der EuGH über die Auslegung der EG-Fluggastrechte-Verordnung entschieden und es findet kein Vortrag der Parteien zur Sache in Luxemburg statt. Ursprünglich vertrat der erste Kläger die Auffassung, dass er kein Interesse an einem über drei Stunden verspäteten Flug hat. Deshalb sei er nicht extra an den Flughafen gefahren; die Verspätung war ja ohnehin bekannt. Der zweite Kläger vertrat ursprünglich die Ansicht, dass seine eigenständige Umbuchung einzig und alleine der Tatsache geschuldet war, dass er seinen Geschäftstermin noch einigermaßen rechtzeitig wahrnehmen wollte. An der mehr als dreistündigen Verspätung seines ursprünglich gebuchten Fluges könne das jedoch ohnehin nichts ändern. Deshalb sei er weiterhin dazu berechtigt, die 250 Euro Entschädigung nach der EG-Fluggastrechte-Verordnung zu erhalten.
Die beklagte Laudamotion ist in beiden Fällen der Ansicht, dass Sinn und Zweck einer Entschädigungszahlung ja darin liege, Ärgernisse und große Unannehmlichkeiten aufgrund der mindestens dreistündigen Verspätung zu kompensieren. In den beiden von den Klägern vorgebrachten Konstellationen liegen jedoch keine derartigen Ärgernisse und Unannehmlichkeiten vor. Im Übrigen solle der Entschädigungsanspruch nach Art. 6 der EG-Fluggastrechte-Verordnung nicht dem Ersatz eines individuellen Schadens dienen, sondern einen pauschalen Ausgleich für nutzlos verplemperte Lebenszeit erbringen.
Der EuGH hat letztere Ansicht eingenommen und in beiden Konstellationen eine pauschale Entschädigung von 250 Euro abgelehnt.
Sind die Sachen höchstrichterlich entschieden?
Hier hat der Europäische Gerichtshof (EuGH), das höchste europäische Gericht in Luxemburg, über die Auslegung europäischen Rechts entschieden. Alle nationalen Gerichte innerhalb der europäischen Union werden sich an diese Rechtsprechung halten müssen und es wird somit keine weiteren Entscheidungen in diesen Angelegenheiten mehr geben.
Wie wirken sich die Urteile am Ende auf die Verbraucher aus?
Die Verbraucherin beziehungsweise der Verbraucher hat jetzt Gewissheit über die Handhabung der pauschalen Zahlung der 250 Euro Entschädigung für einen um mehr als drei Stunden verspäteten Flieger.
Das EuGH-Urteil schafft Rechtssicherheit und -klarheit. Denn es wird auf den Sinn und Zweck der Entschädigungszahlung nach der EG-Fluggastrechte-Verordnung abgestellt. Dieser besteht ja darin, eine Entschädigung für nutzlos am Flughafen aufgrund der Verspätung vergeudete Zeit zu leisten. Wer sich jedoch nicht „umsonst“ am Flughafen abfertigen lässt oder eigeninitiativ auf einen anderen Flug umbucht, dem entgeht somit der pauschale Entschädigungsanspruch auf 250 Euro nach der EG-Fluggastrechte-Verordnung. Eine eventuelle Schadensersatzforderung nach anderen Vorschriften bleibt davon jedenfalls unberührt.
Sind die Entscheidungen gut?
Ja, Daumen uneingeschränkt nach oben. Die Urteile sind in gewisser Weise nur konsequent. Auf den ersten Blick würde man es durchaus als verbraucherfreundlicher erachten, wenn den Klägern in obengenannten Konstellationen ein Entschädigungsanspruch zugesprochen werden würde. Bei näherer Betrachtung kommt man jedoch zu einem anderen Ergebnis: Sinn und Zweck der Entschädigungsleistung nach der EG-Fluggastrechte-Verordnung ist es, der Verbraucherin beziehungsweise dem Verbraucher pauschal einen Ersatz für aufgrund der Verspätung erlittenen Ärgernisse und Unannehmlichkeiten zu gewähren. Von entschädigungsbedürftigen Ärgernissen und Unannehmlichkeiten kann in den beiden hier behandelten und beurteilten Fallgestaltungen jedenfalls keine Rede sein.
Was kann der Verbraucher jetzt tun?
Immer dann, wenn die Verbraucherin oder der Verbraucher Ärgernissen oder Unannehmlichkeiten aufgrund einer Flugverspätung von drei Stunden oder mehr ausgesetzt sind, kommt ein pauschaler Entschädigungsanspruch in Höhe von 250 Euroin Betracht. Dies gilt nach diesem Urteil jedoch nur im Fall des „Abgefertigt-Seins“ beziehungsweise des „Nicht-Zeitsparenden-Umgebucht-Habens“. Nur dann sollte man, dann aber berechtigterweise, auf seinem Anspruch bestehen.
Wo sind die Urteile zu finden?
Die Urteile des EuGH vom 25.01.2024 haben die Aktenzeichen Az C-474/22 und Az C-54/23.
Stand: Februar 2024