Worum geht es bei der Entscheidung?
Ein von der Fluggesellschaft TAS vom Flughafen Köln/Bonn auf die griechische Insel Kos durchgeführter Flug hatte eine Verspätung von fast vier Stunden. Diese war vor allem darauf zurückzuführen, dass der Flughafen Köln/Bonn wenig Personal zur Gepäckverladung zur Verfügung hatte. Einige Fluggäste traten ihre Entschädigungsrechte an einen Rechtsdienstleister ab, die Firma Flightright, die diese zunächst erfolglos außergerichtlich geltend machte und nun klageweise geltend macht.
Hintergrund:
Nach der EG-Fluggastrechte-Verordnung besteht keine Verpflichtung einer Fluggesellschaft für eine erhebliche Verspätung (Verspätung von mehr als drei Stunden) Ausgleichszahlungen zu leisten, wenn sie den Nachweis erbringen kann, dass die Verspätung auf außergewöhnlichen Umständen beruht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn die notwendigen Maßnahmen ergriffen worden wären. Das streitentscheidende deutsche Gericht möchte vom angerufenen EuGH nun wissen, ob es sich bei einem Mangel an Personal bei dem für die Gepäckverladung in die Flugzeuge verantwortlichen Flughafenbetreiber um einen „außergewöhnlichen Umstand“ handelt?
Welche Positionen vertreten die Parteien und was sagt das Gericht?
Die klagende Flightright hatte einen außergewöhnlichen Umstand in dem „ursprünglichen Verfahren“ vor einem deutschen Gericht verneint, die beklagte TAS hatte diesen dagegen bejaht.
Der angerufene EuGH hat mit einer salomonischen Juristenantwort geurteilt: Es kommt darauf an! Unter zwei Voraussetzungen kann ein „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne der Fluggastrechteverordnung vorliegen. Zunächst ist zu prüfen, ob die bei der Gepäckverladung festgestellten Mängel als allgemeine Mängel anzusehen sind. Verläuft diese Prüfung positiv, dann sind die Mängel nicht Bestandteil der normalen Ausübung der Tätigkeit einer Fluggesellschaft. In einem weiteren Schritt wäre dann zu prüfen, ob die Airline den Mangel hätte beherrschen können. Dies wäre insbesondere dann der Fall, so der EuGH, wenn die Fluggesellschaft befugt wäre, den Flughafenbetreiber zu kontrollieren.
Ist die Sache höchstrichterlich entschieden?
Hier hat der EuGH in Luxemburg entschieden, das höchste europäische Gericht in Zivilsachen. Alle nationalen Gerichte innerhalb der EU werden sich an dieses Urteil halten müssen; und es wird keine weitere Entscheidung in dieser Angelegenheit mehr geben.
Wie wirkt sich das Urteil am Ende auf die Verbraucher aus?
Dieses Urteil hat womöglich eine ganz praktische Auswirkung im Portemonnaie der Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn es legt nun erstmalig fest, dass auch ein Personalmangel bei der Gepäckverladung ein außergewöhnlicher Umstand sein kann. Und dann gibt es keine Entschädigung! Erste Voraussetzung dafür wäre, dass die bei der Gepäckverladung aufgetretenen Mängel nicht als allgemeine Mängel anzusehen sind. Zweitens müsste die Airline den Mangel beherrschen können. Dies kann sie vor allem dann, wenn sie dazu befugt ist, den Flughafenbetreiber zu kontrollieren.
Konkret heißt das, dass man durchaus berechtigt keine Entschädigung nach der EG-Fluggastrechteverordnung von seiner Fluggesellschaft bekommen kann; nämlich dann, wenn die Verspätung dem Flughafenbetreiber zuzurechnen ist.
Das Landgericht Köln, das dem EuGH den Fall vorgelegt hat, muss jetzt den Fall genau prüfen. Die Fluggesellschaft wird wohl beweisen müssen, dass sie alles dafür getan hat, dass es zu keiner Verspätung kommt.
Ist die Entscheidung gut?
Ja und nein, Daumen waagerecht. Aus Sicht der Airlines ist sie gut und konsequent. Sie müssen zukünftig nicht mehr für eine Verspätung haften, für die nicht sie, sondern der Flughafenbetreiber verantwortlich ist. Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher ist es schlecht, denn für sie ist es im Grunde genommen egal, wer für die Verspätung ihres Fluges juristisch verantwortlich ist. Sie haben so oder so nutzlos Lebenszeit am Flughafen verbummelt, die ihres Erachtens entschädigungsbedürftig wäre.
Was kann der Verbraucher jetzt tun?
Nicht viel. Reisende sollten sich frühzeitig vor der Abreise, also noch zu Hause, darüber informieren, ob bei der Flugverbindung eine Verspätung zu erwarten ist. Dies kann über das Internet, den Videotext oder einen Anruf bei dem beauftragten Reisebüro erfolgen. So kann man wenigstens nutzlos am Flughafen verbummelte Lebenszeit vermeiden. Rechtlich ist die Lage nicht einfacher geworden. Denn wie wir hier gesehen haben, sind durchaus Fälle denkbar, in denen es trotz Verspätung keine Entschädigung nach der EG-Fluggastrechteverordnung gibt. Ein solcher „außergewöhnlicher Umstand“ kann – wie dieses EuGH-Urteil bestätigt – auch gegebenenfalls in einem Mangel an Flughafenpersonal für die Gepäckverladung zu sehen sein.
Wo ist die Entscheidung zu finden?
Das Urteil des EuGH vom 16.052024 hat das Aktenzeichen Az. C-405/23.
Stand: Mai 2024