Ein startendes Flugzeug

Flugreisende aufgepasst bei der Vorverlegung von Flügen!

Ein Flug gilt auch dann als annulliert, wenn er um mehr als eine Stunde vorverlegt wurde. Dies hat zur Folge, dass davon betroffenen Flugreisenden Entschädigung nach der EG-Fluggastrechteverordnung zusteht. So hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden.

Worum geht es bei den Entscheidungen?

Hintergrund dieser Verfahren, in denen der EuGH von nationalen Gerichten angerufen wurde, waren mehrere Rechtsstreitigkeiten vor den Landgerichten Korneuburg (Österreich) und Düsseldorf zwischen Fluggästen sowie den Unternehmen Airhelp und Flightright auf der einen Seite und den Fluggesellschaften Azurair, Corendon Airlines, Eurowings, Austrian Airlines und Laudamotion auf der anderen Seite.

Es geht hier um die Auslegung der EG-Fluggastrechteverordnung. Der EuGH beantwortet in seinem Urteil mehrere verbraucherrelevanten Fragen:

Gilt ein Flug als annulliert, wenn er um mehr als eine Stunde vorverlegt wird?

Kann eine Ausgleichszahlung bei erheblicher Vorverlegung des Fluges gekürzt werden? Die Fluggesellschaft könnte dem Fluggast eine anderweitige Beförderung anbieten, mit der er sein Flugziel ohne Verspätung erreichen könnte und dann den Entschädigungsanspruch um 50 Prozent kürzen.

Gilt nur ein Flugschein als bestätigte Buchung oder kann auch ein anderer Beleg des Reiseunternehmens als Bestätigung gelten, mit welchem dem Reisenden die Beförderung auf einem bestimmten Flug durch Abflug- und Ankunftsort, durch Abflug- und Ankunftszeit sowie Flugnummer individualisierten Flug versprochen wurde?

Welche Positionen bezieht der EuGH zu den aufgeworfenen Fragen?

Zu den einzelnen hier angesprochenen Fragen hat der EuGH in seinem Urteil klar Stellung bezogen.

Explizit gilt die EG-Fluggastrechteverordnung nur für die drei Fälle der Nichtbeförderung gegen den Willen der Fluggäste, der Annullierung des Fluges und der Verspätung des Fluges. Von einer Vorverlegung des Fluges ist im Verordnungstext nicht die Rede. Allerdings kann – so der EuGH – eine Vorverlegung eines Fluges genauso wie eine Verspätung zu schwerwiegenden Unannehmlichkeiten führen. Auch im Falle einer Vorverlegung hat der Fluggast nicht mehr die Möglichkeit über seine Zeit frei verfügen zu können und seine Reise bzw. seinen Aufenthalt nach Maßgabe seiner ursprünglichen Erwartungen und Planungen frei gestalten zu können.

Somit gilt nach dem EuGH ein Flug bei einer Vorverlegung um mehr als eine Stunde als annulliert. Dies hat zur Folge, dass dann die Rechte der EG-Fluggastrechteverordnung gleichwohl anzuwenden sind.

Bei einer erheblichen Vorverlegung des Fluges ist es laut EuGH nicht zulässig, dass die Ausgleichsansprüche des Reisenden gekürzt werden. Ob die Vorverlegung eines Fluges erheblich oder unerheblich ist, muss alleine nach einem zeitlichen Kriterium beurteilt werden. Eine Vorverlegung von mehr als einer Stunde ist als erheblich anzusehen, eine Vorverlegung von weniger als einer Stunde kann zu einer Kürzung von Ausgleichszahlungen führen. 

Es ist völlig unerheblich, ob die Reisenden im Besitz eines Flugscheins oder im Besitz eines anderen Dokuments sind, durch das ihnen die Beförderung auf einem bestimmten, durch Abflug-und Ankunftsort, durch Abflug- und Ankunftszeit und Flugnummer individualisierten Fluges ermöglicht wird. In beiden Fällen können die Reisenden die Rechte nach der EG-Fluggastrechteverordnung geltend machen. Laut EuGH kann vom Passagier nicht verlangt werden, dass er die einzelnen Rechtsbeziehungen zwischen Reiseunternehmen und Fluggesellschaft unter die Lupe nehme. Somit können Ausgleichsansprüche auch nicht vom Besitz eines Flugscheins abhängig gemacht werden.

Sind die Sachen höchstrichterlich entschieden?

Ja, hier hat der EuGH, das höchste europäische Gericht entschieden. Alle anderen nationalen Gerichte in der Europäischen Union müssen sich an diese Rechtsprechung halten.

Sind die Urteile gut

Ja. Daumen uneingeschränkt nach oben. Endlich wird die erhebliche Vorverlegung mit einer Annullierung gleichgestellt. Erheblich ist eine Vorverlegung bereits ab einer Stunde. Somit wird es den Fluggesellschaften unmöglich gemacht, drohende Verspätungen bei Starts und Landungen durch Vorverlegung der Flüge zu umgehen. Dies hatte für Fluggesellschaften bislang den charmanten Vorteil, Ausgleichszahlungen nach der EG-Fluggastrechteverordnung so umgehen oder minimieren zu können. Nach diesem Urteil sind jedoch Flüge ab einer Stunde Vorverlegung wie ausgefallene Flüge zu behandeln. Dies hat dann zur Folge, dass ab einer Stunde Vorverlegung die volle Entschädigungssumme nach der EG-Fluggastrechteverordnung zu zahlen ist.

Was können Verbraucher jetzt tun?

Verbraucher sollten auch bei einer Vorverlegung ihres Fluges auf eine Entschädigung nach der EG-Fluggastrechteverordnung bestehen.

Wo sind die Urteile zu finden?

Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGHom 21.12.2021 haben die Aktenzeichen Az C-146/20, C-188/20, C-196/20, C-270/20, C-263/20, C-395/20.

(01/2022)

Autor

„Ihr gutes Recht“ ist die beliebte Kolumne von Rechtsassessor Nikolai Schmich, LL.M. Für die Leserinnen und Leser des Verbraucherfensters sucht und findet er jede Woche relevante Verbraucherurteile und beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das Verfahren.

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